Menu:

Trakls 3. Phase (1912-1914)

Der auf Fotos stets stämmig wirkende Georg zeigte bereits früh einen ausgeprägten Beschützerkomplex für seine 1891 geborene Schwester Margarethe, die es in der Großfamilie Trakl als Jüngste sicherlich nicht allzu leicht gehabt haben dürfte. Erstaunliche Ähnlichkeiten zeigen sich keineswegs nur im Erscheinungsbild und Wesen beider, sondern auch im exzessiven Umgang mit Drogen. Mit der Zeit entwickelte sich, trotz des Altersunterschiedes von vier Jahren, ein Hörigkeitsverhältnis zu Gunsten von Grete. Sie war die Impulsivere und ließ sich des Öfteren von ihrem Bruder mit Rauschmitteln versorgen, die er aufgrund seiner Apothekerausbildung problemlos beschaffen konnte.
Letzten Endes machte die inzestuöse Beziehung aus Georg einen emotional Abhängigen. Er litt unter der "körperliche(...)[n] Untreue"9 seiner Schwester, die unter anderem eine kurzweilige Affäre mit Trakls bestem Vertrauten Erhard Buschbeck hatte.

Um das Jahr 1912 erhalten Trakls Gedichte erstmals vereinzelt religiöse Aspekte. So könnte sein Gedicht Passion stellvertretend für diese Zeit aus schwesterlicher Abhängigkeit und religiösem Findungsprozess gelten. In einer mythisch religiösen Atmosphäre beschreibt das lyrische Ich in "Passion" den Leidensweg zweier Menschen aus e i n e m Geschlecht (V.9), die zweifellos als Georg und Grethe identifiziert werden können. Ohne biografisches Wissen erweist sich dieses Gedicht quasi als uninterpretierbar, da es die typische in sich hermetisch abgeschlossene "Trakl-Welt" birgt.
Mit der Allusion im Gedichttitel an das Martyrium Jesu Christi sowie dem Symbol der Büßerin beweist Trakl sich zudem als Bibelkenner, was keineswegs verwunderlich scheint, hielt er die Bibel doch "als göttliche Offenbarung heilig"10 .

Überdies sind mit dem Sänger Orpheus und Triton gleich zwei Charaktere aus der griechischen Mythologie vertreten, die für die Interpretation des Gedichtes im Zuge der Beziehung mit seiner Schwester aber nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Als Interessant zeigt sich der Vergleich zwischen der inzestuösen Beziehung mit seiner Schwester und der Passion Christi (V.1). Das verstärkt nur die Ernsthaftigkeit, mit der Trakl an jene sonderbare Problematik seines Lebens herantritt. Eine dramatische Spannung einer nicht Gesellschaftskonformen "dunklen Liebe[sbeziehung]" (V.8) "zweier [in sich recht ähnlichen] Wölfe" (V.13), die völlig absichtlich von Trakl nicht als Wolf und Wölfin tituliert werden, weil dann allein der Name sie schon wieder trennen würde. Das Auftauchen der Schwester (V.7) ist keineswegs ein Einzelfall, sondern zieht sich durch die gesamte Trakl-Dichtung hindurch.